Frau beantragt wegen einer psychischen Erkrankung Haftunfähigkeit. © Adobe Stock | WavebreakMediaMicro

Wann wird jemand für haftunfähig erklärt und was bedeutet das?

Als haftunfähig gilt jemand, der aufgrund einer schwerwiegenden Krankheit seine Haftstrafe nicht in einer normalen Justizvollzugsanstalt antreten kann. Er wird dann bis zur Genesung in einem Krankenhaus behandelt. Doch wer prüft die Haftunfähigkeit und was bedeutet das für den Strafvollzug?

Wann besteht Haftunfähigkeit?


‌Als haftunfähig gilt jemand, der durch seinen Gesundheitszustand nicht in einer regulären Justizvollzugsanstalt inhaftiert werden kann. Daher wird die Haftunfähigkeit auch Vollzugsunfähigkeit genannt. Sie muss von der Staatsanwaltschaft auf Basis eines ärztlichen Gutachtens bzw. Attests genehmigt werden.
Hinweis:
Die Haftunfähigkeit darf nicht mit der Schuldunfähigkeit verwechselt werden. Denn wird jemand als schuldunfähig erklärt, hat er keine strafrechtlichen Konsequenzen zu befürchten. Bei der Haftunfähigkeit hingegen, geht es um das Aussetzen oder Aufschieben der Haft.
Damit jemand für haftunfähig erklärt wird, muss er psychisch oder physisch sehr krank sein. Seine Erkrankung kann zudem nicht ausreichend im Krankenhaus der Vollzugsanstalt behandelt werden. Doch nicht jede Krankheit führt sofort zu Haftunfähigkeit. Folgende Faktoren werden ebenso betrachtet:
  • Das Ausmaß der Erkrankung 
  • Die Zustände in der Vollzugsanstalt  
  • Die Länge der Haftstrafe  
  • Die Folgen der Haft für die Gesundheit 

  • ‌Weitere Voraussetzungen finden sich in § 455 Strafprozessordnung (StPO). Danach besteht beim Verurteilten eine Haftunfähigkeit, wenn…
  • er „in Geisteskrankheit verfällt“ – er also eine psychische Erkrankung hat. 
  • er durch die Vollstreckung der Strafe wegen der Krankheit in Lebensgefahr schwebt. 
  • seine Krankheit in der Strafanstalt nur unzureichend behandelt werden kann. 

  • ‌Um durch eine psychische Erkrankung für haftunfähig erklärt zu werden, muss eine schwere Form der Erkrankung vorliegen. Deren fachgerechte Behandlung kann nur in einer psychiatrischen Klinik gewährleistet werden. Erkrankungen, die häufig zu Haftunfähigkeit führen, sind:
  • Depressionen
  • Angststörungen und Panikattacken 
  • Schizophrenie
  • Platzangst (Klaustrophobie) 
  • Alzheimer und Demenz 
  • Paranoia
  • Borderline-Persönlichkeitsstörung 

  • ‌Dennoch wird immer im Einzelfall entschieden, ob der Verurteilte seine Haft antreten kann. 

    ‌Zu Krankheiten, die in der Justizvollzugsanstalt womöglich nicht ausreichend behandelt werden können, zählen:
  • Epilepsie
  • Diabetes
  • Bluthochdruck
  • Chronische Herzkrankheiten 

  • ‌In diesen Fällen wird die Haft aufgeschoben oder unterbrochen. Was genau das bedeutet und wann die Haft fortgesetzt wird, lesen Sie im nächsten Kapitel.

    Folgen von Haftunfähigkeit


    ‌Wurde bei jemandem eine Haftunfähigkeit festgestellt, so ergeben sich je nach Art und Ausmaß der Erkrankung zwei Möglichkeiten, wie die Staatsanwaltschaft entscheiden kann:
  • Aufschub des Strafbefehls 
    ‌Der Haftantritt des Verurteilten kann aufgrund der Haftunfähigkeit auf einen anderen Zeitpunkt verschoben werden. Ist mit einer zeitnahen Genesung des Verurteilten zu rechnen, wird er in ein Vollzugskrankenhaus überwiesen, in dem die Strafe weiter vollstreckt wird. Kann dort nicht die ausreichende Behandlung geboten werden, wird er in ein öffentliches Krankenhaus gebracht, wo er gegebenenfalls durchgehend bewacht wird. Nach seiner Genesung verbleibt er für die restliche Dauer seiner Haftstrafe in einer Justizvollzugsanstalt. 
  • Unterbrechung der Strafhaft 
    ‌Zu einer Strafunterbrechung nach § 455 Abs. 4 StPO kann es kommen, wenn „die Krankheit voraussichtlich für eine erhebliche Zeit fortbestehen wird“. Die weiteren Voraussetzungen wie keine Möglichkeit zur Behandlung im Vollzugskrankenhaus gelten auch hier. Nach der Genesung kommt der Verurteilte wieder zurück in die Vollzugsanstalt. 

  • ‌Die Zeit des Krankenhausaufenthalts wird laut § 461 StPO grundsätzlich in die Strafzeit miteingerechnet. Nicht zur Strafzeit gezählt wird sie, wenn der Verurteilte die Krankheit selbst in der Absicht verursacht hat, die Strafvollstreckung zu unterbrechen. In diesem Fall muss die Staatsanwaltschaft eine Entscheidung vom Gericht einholen. 

    ‌Ist das Ausmaß der Erkrankung des Verurteilten derart hoch, dass seine Lebenserwartung nur noch ein paar Tage oder Wochen beträgt, kann die Staatsanwaltschaft auf eine weitere Haftvollstreckung verzichten. Dies ist allerdings nur dann möglich, wenn keine Gründe der öffentlichen Sicherheit dagegenstehen. Ein solcher Grund kann z.B. die Gefahr sein, dass jemand ein Widerholungstäter ist.

    Wann ist jemand haftfähig?


    ‌Generell besteht keine Haftunfähigkeit, wenn keine außerordentliche ärztliche Betreuung oder Versorgung notwendig ist und die Krankheit in der Vollzugsanstalt behandelt werden kann. Gefährdet eine Inhaftierung nicht direkt das Leben des Verurteilten, so wird er mit einem Antrag auf Haftunfähigkeit keinen Erfolg haben. Nachfolgend lesen Sie weitere Gründe, die nicht zu Haftunfähigkeit führen:
  • Nicht als haftunfähig gilt man beispielsweise auch wegen einer Schwangerschaft. Die Staatsanwaltschaft trifft darüber eine Ermessensentscheidung. Wenn allerdings die erforderliche Betreuung durch einen Arzt in der Haftanstalt gegeben ist, so wird die Entscheidung nicht auf eine Haftunfähigkeit fallen. 
  • Keine Ausnahme wird außerdem dann gemacht, wenn der Verurteilte mit einem Suizid droht. Ein solcher Fall hat sich 2003 am Oberlandesgericht in Köln ereignet, bei der eine Frau wegen mehrfachen Betrugs zu drei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt wurde (OLG Köln, Az. 2 Ws 623/03). Sie erhob auf das Urteil hin den Einwand, dass sie durch schwere Depressionen bereits mehrere Suizidversuche durchgeführt habe. Das Oberlandesgericht hat in diesem Fall beschlossen, dass Suizidgefahr kein ausreichender Grund für einen Strafaufschub nach § 455 Abs. 2 StPO sei. Hätte sie wegen ihren schweren Depressionen Haftunfähigkeit beantragt, hätte sie vermutlich mehr Erfolg gehabt. 
  • Ein hohes Alter führt nicht per se zu Haftunfähigkeit, wie sich an einem bekannten Beispiel zeigt. 2017 wurde ein 96-jähriger zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt und sein Antrag auf Haftfähigkeit wurde abgelehnt (BVerfG Az.: 2 BvR 2772/17). Dabei handelt es sich um den früheren SS-Mann Oskar Grönig, den sogenannten „Buchhalter von Ausschwitz“, der wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Sein Antrag auf Aufschub der Strafvollstreckung wies die Staatsanwaltschaft auf Basis eines ärztlichen Gutachtens ab, worauf er mehrere Beschwerden erhob. Zuletzt erhob er Beschwerde beim Bundesverfassungsgerichtshof wegen einer Verletzung seines Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Beschwerde wurde vom BVerfG abgelehnt, da sein Gesundheitszustand hinreichend aufgeklärt sei und sein hohes Lebensalter nicht per se zu einer Haftunfähigkeit führe. 
  • Wenn jemand mit einer Schwerbehinderung Haftunfähigkeit beantragt, hat er meist ebenso wenige Chancen. Denn eine Schwerbehinderung führt in Deutschland nicht dazu, ohne Konsequenzen straffällig zu werden. 
  • § 455 StPO schreibt einen weiteren Grund vor, der zu keiner Haftunfähigkeit führen darf: „Die Vollstreckung darf nicht unterbrochen werden, wenn überwiegende Gründe, namentlich der öffentlichen Sicherheit, entgegenstehen.“ Ein solcher Grund besteht beispielsweise bei Terroristen oder Wiederholungstätern. Auch dann, wenn womöglich ein erneuter Amoklauf zu befürchten ist. Bei derartigen Fällen darf der Verurteilte nicht für haftunfähig erklärt werden. 

  • Wie kann man Haftunfähigkeit beantragen?


    ‌Ist ein Verurteilter oder dessen Angehörigen der Meinung, er könne aufgrund von gesundheitlichen Problemen seine Haft nicht antreten, so kann er Haftunfähigkeit beantragen. Dabei sollte eine Beratung von einem Rechtsanwalt, der in Strafrecht spezialisiert ist, in Betracht gezogen werden. Dieser kann Unterstützung leisten und dabei helfen, den Antrag zu formulieren.

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    ‌Ein Antrag auf Haftunfähigkeit muss an die jeweilige Staatsanwaltschaft gerichtet werden. Darin werden alle Gründe geschildert, warum der Betroffene der Meinung ist, er wäre vollzugsunfähig. Das bedeutet, dass die Krankheit und ihre Auswirkungen ehrlich geschildert werden und im besten Fall sogar bereits ein ärztliches Gutachten oder Diagnosebescheide beigelegt wird. Daraufhin lässt die Staatsanwaltschaft prüfen, ob tatsächlich eine Krankheit vorliegt, die zu Haftunfähigkeit führt.

    Prüfung der Haftunfähigkeit


    ‌Im Rahmen der Prüfung der Haftunfähigkeit stellt ein Arzt fest, welches Ausmaß die Krankheit wirklich hat. Er beurteilt schließlich, ob dem Betroffenen eine Haft in einer Strafvollzugsanstalt nicht zugemutet werden kann. Daraufhin erstellt er ein medizinisches Gutachten bzw. ein Attest, auf dessen Basis die Staatsanwaltschaft folglich über die Haftunfähigkeit entscheiden kann. 

    ‌Der Hausarzt alleine kann nicht entscheiden, ob jemand haftunfähig ist oder nicht. Diese Beurteilung erfolgt je nach Art der Erkrankung meist durch einen Arzt des Gesundheitsamtes, des psychosozialen Dienstes oder einen Amtsarzt der Justiz. In jedem Fall wird ein unabhängiger Arzt damit betraut.
    Hinweis:
    Erachtet der prüfende Arzt den Betroffenen als haftunfähig, heißt das dennoch nicht, dass er nie seine Haftstrafe absitzen muss. So etwas wie „lebenslange Haftunfähigkeit“ gibt es nicht, da regelmäßig überprüft wird, wie es um die Krankheit des Verurteilten steht. Meist wird alle sechs Monate erneut ein ärztliches Gutachten erstellt. Er wird außerdem je nach Krankheit in einem Krankenhaus oder einer psychiatrischen Klinik behandelt und kann sich nicht völlig frei bewegen.
    Hat ein Verurteilter einen Antrag auf Haftunfähigkeit gestellt, den die Staatsanwaltschaft auf Basis eines ärztlichen Gutachtens abgelehnt hat, muss der Verurteilte auch die Kosten für die Untersuchung tragen. Das Gericht kommt in diesem Fall nicht für die Kosten auf. Ein solcher Fall ereignete sich am Oberlandesgericht Karlsruhe, bei dem die Gutachter vom Gesundheitsamt zu dem Schluss gekommen sind, dass der Verurteilte haftfähig sei (OGL Karlsruhe, Beschl. v. 17.10.2019 – 1 Ws 178/19). Das Sachverständigenhonorar von rund 500 Euro wurde dem Betroffenen in Rechnung gestellt, woraufhin dieser Einspruch einlegte. Diesen hat das Gericht verworfen und der Verurteilte reichte Beschwerde ein. Dies wurde vom Oberlandesgericht abgewiesen, da das Gutachten Teil der Verfahrenskosten ist, welche der Verurteilte zu tragen hat.

    Haftunfähigkeit – Recht einfach erklärt

    Wann gilt man als haftunfähig?

    Um als haftunfähig zu gelten, muss man eine schwerwiegende psychische oder physische Krankheit aufweisen. Diese kann nicht in einem normalen Vollzugskrankenhaus behandelt werden. 

    ‌Weiterlesen: Wann gilt man als haftunfähig?

    Was passiert, wenn man haftunfähig ist?

    Wird eine Haftunfähigkeit festgestellt, kann die Haftstrafe entweder unterbrochen oder auf einen anderen Termin aufgeschoben werden, wenn sie noch nicht begonnen hat. 

    ‌Weiterlesen: Was passiert, wenn man haftunfähig ist?

    Führt eine Schwangerschaft zu Haftunfähigkeit?

    Eine Schwangerschaft führt in der Regel nicht zu Haftunfähigkeit, da die Untersuchungen im Vollzugskrankenhaus durchgeführt werden können. 

    ‌Weiterlesen: Führt eine Schwangerschaft zu Haftunfähigkeit?

    Wie wird man für haftunfähig erklärt?

    Der Verurteilte oder sein Anwalt stellt einen Antrag auf Haftunfähigkeit an die zuständige Staatsanwaltschaft. 

    ‌Weiterlesen: Wie wird man für haftunfähig erklärt?

    Wer prüft die Haftunfähigkeit?

    Ob jemand haftunfähig ist, prüft ein unabhängiger Arzt. Dieser erstellt ein medizinisches Gutachten, welches der Staatsanwaltschaft als Entscheidungsgrundlage dient. 

    ‌Weiterlesen: Wer prüft die Haftunfähigkeit?

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