Schaulustiger Gaffer fotografiert Unfall mit Handy © Adobe Stock | RioPatuca Images

Gaffer beim Unfall – Welches Verhalten wird bestraft?

Wer als Gaffer nach einem Unfall Einsatzkräfte behindert, Unfallopfer filmt oder fotografiert riskiert hohe Strafen. Erfahren Sie, warum Menschen gaffen, welche Folgen das Verhalten hat, welche Gefahren damit verbunden sind und wie die aktuelle Rechtsprechung über unangemessene Neugier urteilt.

Phänomen „Gaffen“ – Was steckt dahinter?


‌Warum können viele Menschen ihre Neugier nicht unterdrücken, wenn sie Zeugen eines Unfalls werden oder an einer Unfallstelle vorbeikommen? Es ist nicht nur in moralischer Hinsicht ein zweifelhaftes Verhalten zuzuschauen, wenn andere Menschen in eine Notsituation geraten sind, sondern behindert oft sogar die Einsatzkräfte. Doch warum ist es so schwer, dem Drang hinzusehen zu widerstehen? Beispielsweise berät die psychologische Kriminologin Dr. Ursula Gasch die Polizei in Baden-Württemberg und hat viele Erfahrungen mit dem Phänomen „Gaffen“ gemacht. Dabei beobachtet die Expertin immer wieder, dass unbeteiligte Passanten von einer Sensationslust überwältigt werden. In der konkreten Situation gerät in den Hintergrund, dass beim Gaffen die persönlichen Grenzen der Opfer missachtet und die Rettungskräfte behindert werden. 

‌Die Psychologin verweist darauf, dass jeder Mensch eine natürliche Neugier besitzt. Diese Neugier ist wichtig und unterstützt positive Verhaltensweisen wie die Lust am Lernen oder den Wunsch Neues auszuprobieren. Ohne die menschliche Neugier wäre keine Erfindung möglich und die Menschheit hätte sich nicht in dem Maße weiterentwickelt. Neugier ist also ein Antrieb für den Fortschritt und deshalb belohnt das Gehirn ein Verhalten, das neue Informationen generiert. Ähnlich wie bei einem Lob oder nach einem köstlichen Essen erfolgt ein Dopaminstoß. Die Dopaminausschüttung ist umso intensiver, je schneller wir die gewünschte Information erhalten. 

‌Geschieht etwas Besonderes, sind wir instinktiv bestrebt, Informationen darüber zu erhalten. Unterbewusst ist damit das Ziel verknüpft, Gefahrensituationen zu erfassen. Es ist deshalb kaum zu verhindern, dass der Blick auf einen Unfall gelenkt wird. Das Gehirn verarbeitet diesen Reiz in den Arealen, die für unbewusste Verhaltensweisen zuständig sind und umgeht dabei das Bewusstsein. Das ist aus evolutionsbiologischer Sicht überaus sinnvoll. Ohne einen Kontrollmechanismus einzuschalten, aktiviert das Gehirn den Notfallmodus und entscheidet in Bruchteilen einer Sekunde über Flucht, Verteidigung oder Angriff.

‌Außerdem ist der Mensch ein soziales Wesen, das im gesamten Verlauf der Evolution in Gruppen zusammengelebt hat. Das führt ebenfalls dazu, dass man den Impuls, die Lage genau zu beobachten, um Gefahren für sich und andere abzuschätzen, nicht unterdrücken kann. Letztlich ist die Hinwendung zum Unfall Voraussetzung dafür, helfend einzugreifen. 

‌Es stellt sich also die Frage, wann die Grenze zwischen der „gesunden“ Neugier und dem Gaffen überschritten wird. Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Wer am Unfallort bleibt, weil er hofft, dass etwas Interessantes passiert, wohlwissend dass er selber nicht helfen kann, wird zum störenden Gaffer.

Warum ist das Gaffen ein Problem?


‌Gaffer sind oft erstaunt, wenn sie aufgrund ihres Verhaltens angeklagt und bestraft werden. Es wird argumentiert, dass man gar nicht aktiv ins Geschehen eingegriffen und somit auch keinen Schaden verursacht habe. Gaffen ist jedoch keineswegs ein Kavaliersdelikt, das niemandem schadet. Gaffer blockieren Rettungsgassen und behindern allein durch ihre Anwesenheit die Einsatzkräfte. Dadurch geht wertvolle Zeit verloren und im schlimmsten Fall bezahlt das Unfallopfer dies mit dem Leben. Darüber hinaus führt Gaffen zu einer Traumatisierung der Unfallopfer, die sich in einer Extremsituation befinden. Dabei beobachtet oder sogar gefilmt zu werden, ist eine demütigende Erfahrung, die zudem mit einem Gefühl der Hilflosigkeit und der Ohnmacht verbunden ist. Werden die Aufnahmen sogar im Internet verbreitet, droht eine Retraumatisierung der Unfallopfer mit weitreichenden Folgen für die psychische Gesundheit. 

‌Leider belassen es Gaffer manchmal nicht einmal dabei, passiv zu beobachten oder mit dem Smartphone zu filmen, sondern greifen die Einsatzkräfte an, wenn diese sie auf ihr Verhalten aufmerksam machen. Besonders gefährliche Situationen entstehen außerdem, wenn Autos halten, weil auf der Gegenfahrbahn ein Unfall geschehen ist. Anhalten oder langsames Vorbeifahren an der Unfallstelle provoziert Auffahrunfälle und das Blockieren der Rettungsgasse macht es den Rettungskräften unmöglich, schnell zur Unfallstelle zu gelangen. Gaffer bringen in vielen Fällen auch sich selbst in Gefahr, indem sie zu nah ans Unfallgeschehen herantreten oder sogar Absperrbänder missachten. 

‌Ein mangelndes Bewusstsein für die Situation ist häufig der Grund dafür, dass Unbeteiligte zu Gaffern werden. Es fehlt die Einsicht, dass man aktiv dazu beitragen muss, den Rettungskräften die Arbeit zu erleichtern und damit Verantwortung für die Unfallopfer zu übernehmen. Darüber hinaus fehlt es am Einfühlungsvermögen und Respekt vor dem Recht der Opfer auf Wahrung ihrer Privatsphäre

‌Gaffen ist ein weitverbreitetes Problem. Die Bundesanstalt für Straßenwesen hat ermittelt, dass bei ungefähr 75 Prozent aller Verkehrsunfälle Gaffer die Rettungsmaßnahmen behindern.

Welche Strafen drohen Gaffern?


‌Nach einem schweren Unfall mit Verletzten entsteht häufig ein Tumult an der Unfallstelle. Neben den Unfallopfern und anderen Beteiligten sind Rettungskräfte vor Ort und versuchen, schnellstmöglich lebenserhaltende Maßnahmen wie Reanimationen durchzuführen. Teilweise entscheiden Sekunden über Leben und Tod. Dementsprechend wird Gaffen mit hohen Geldstrafen und in besonders schweren Fällen sogar mit Haftstrafen geahndet. Entscheidend für die Strafe ist, ob das Gaffen als Ordnungswidrigkeit oder als Straftat bewertet wird. Wer sich der unterlassenen Hilfeleistung strafbar macht, das Unfallgeschehen filmt oder fotografiert, begeht eine Straftat, die mit bis zu zwei Jahren Freiheitsentzug geahndet wird. 

‌Das Amtsgericht Bremervörde verurteilte einen Angeklagten im sogenannten „Gaffer-Prozess“ 2017 zu vier Monaten Haft ohne Bewährung. (AG Bremervörde, Urteil vom 27.04.2017 - 10 Ds 172 Js 41983/15). Der Angeklagte wurde gegenüber Polizeibeamten und Einsatzkräften handgreiflich und behinderte deren Arbeit. Das Landgericht Stade bestätigte ein Jahr später das Urteil.

Bestrafung aufgrund unterlassener Hilfeleistung


‌Gemäß § 323c StGB (Strafgesetzbuch) ist man zur Ersten Hilfe verpflichtet, wenn dies zumutbar ist. Außerdem ist es verboten, Personen, die Erste Hilfe leisten, zu behindern. Beides wird mit Geldstrafen oder Haftstrafen von maximal einem Jahr bestraft.
Unterlassene Hilfeleistung; Behinderung von hilfeleistenden Personen 

‌(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. 

‌(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

Fotografieren und Filmen wird härter bestraft


‌Um die abschreckende Wirkung der Strafen zu erhöhen, hat die Bundesregierung im November 2019 härtere Sanktionierungen für Gaffer beschlossen und in § 201a StGB (Strafgesetzbuch) manifestiert. Der Paragraf wird umgangssprachlich auch als „Gaffer-Paragraf“ bezeichnet. Diese Gesetzesänderung wurde notwendig, weil durch die weite Verbreitung von Smartphones immer häufiger Unfälle von neugierigen Passanten fotografiert und gefilmt werden. Oft stellen die Gaffer diese Aufnahmen sogar ins Internet, um mit der Sensationslust anderer hohe Klickzahlen und Likes zu generieren

‌Polizisten sind deshalb befugt, zur Prävention dieser Straftaten Handys direkt zu konfiszieren, wenn Gaffer damit Aufnahmen an der Unfallstelle machen. Beachten Sie, dass sich nicht nur der Gaffer strafbar macht, sondern auch diejenigen, die derartige Fotos oder Filmaufnahmen verbreiten. Seit 2021 ist es explizit verboten, Unfalltote zu fotografieren, denn das Persönlichkeitsrecht endet nicht mit dem Tod.
Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen : 

‌(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 

‌1. von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, unbefugt eine Bildaufnahme herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt,

‌2. eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt, 

‌3. eine Bildaufnahme, die in grob anstößiger Weise eine verstorbene Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt, 

‌4. eine durch eine Tat nach den Nummern 1 bis 3 hergestellte Bildaufnahme gebraucht oder einer dritten Person zugänglich macht oder 5. eine befugt hergestellte Bildaufnahme der in den Nummern 1 bis 3 bezeichneten Art wissentlich unbefugt einer dritten Person zugänglich macht und in den Fällen der Nummern 1 und 2 dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt. 

‌(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, einer dritten Person zugänglich macht. Dies gilt unter den gleichen Voraussetzungen auch für eine Bildaufnahme von einer verstorbenen Person.

Bewertung des Gaffens als Ordnungswidrigkeit


‌Gaffen wird auch dann bestraft, wenn kein Fall von unterlassener Hilfeleistung vorliegt und keine Fotos oder Filmaufnahmen angefertigt wurden. Gesetzliche Grundlagen bilden in diesem Fall der § 113 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) sowie der § 49 Absatz 3 der Straßenverkehrsordnung (StVO). Sie müssen mit Geldbußen von maximal 1.000 Euro rechnen. Außerdem wird das Befahren von Seitenstreifen oder das Parken auf Seitenstreifen zusätzlich zum Bußgeld mit einem Punkt in Flensburg und das Behindern von Einsatzfahrzeugen mit zwei Punkten in Flensburg bestraft. Das Höchstbußgeld ist nicht bundeseinheitlich geregelt. In Niedersachsen beträgt es beispielsweise 5.000 Euro.
Unerlaubte Ansammlung 

‌(1) Ordnungswidrig handelt, wer sich einer öffentlichen Ansammlung anschließt oder sich nicht aus ihr entfernt, obwohl ein Träger von Hoheitsbefugnissen die Menge dreimal rechtmäßig aufgefordert hat, auseinanderzugehen. 

‌(2) Ordnungswidrig handelt auch der Täter, der fahrlässig nicht erkennt, daß die Aufforderung rechtmäßig ist. 

‌(3) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1 mit einer Geldbuße bis zu eintausend Euro, in den Fällen des Absatzes 2 mit einer Geldbuße bis zu fünfhundert Euro geahndet werden.

Zusammenfassung: Strafen für Gaffer


‌In der folgenden Tabelle sind die Strafen für Tatbestände, die mit dem Gaffen zusammenhängen, aufgelistet.

‌Sie haben einen Bußgeldbescheid erhalten und sind der Meinung, dass dieser nicht berechtigt ist? Wenden Sie sich in dem Fall umgehend an einen auf Verkehrsrecht spezialisierten Rechtsanwalt. Der Rechtsexperte wird den Tatbestand prüfen und mit Ihnen die verschiedenen Handlungsoptionen erörtern. Noch wichtiger ist der Rechtsbeistand, wenn gegen Sie Strafanzeige aufgrund unterlassener Hilfeleistung gestellt wurde. Nicht immer ist es zumutbar, Erste Hilfe zu leisten. Mandatieren Sie deshalb einen Anwalt, der Ihre Verteidigung übernimmt.

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Wie können sich Opfer von Gaffern wehren?


‌Opfer von Gaffern empfinden nicht nur in der akuten Situation ein Gefühl der Demütigung und Ohnmacht. Stellt der Gaffer die Foto- oder Filmaufnahmen ins Internet, führt das zu einer Retraumatisierung und erschwert es dem Opfer, das Unfallgeschehen zu verarbeiten. Außerdem können Unfallopfer Gaffer verklagen, wenn deren Verhalten die Behandlung verzögert hat und daraus gesundheitliche Beeinträchtigungen resultierten. Wenn Sie derartige Erfahrungen machen mussten, sollten Sie auf zivilrechtlichem Wege Schmerzensgeld einklagen. Wenden Sie sich an einen erfahrenen Rechtsanwalt, der Sie dabei unterstützt, Ihre berechtigten Interessen durchzusetzen.

Korrektes Verhalten am Unfallort


‌Als Zeuge eines Unfalls ist Ihr Eingreifen nur dann gefragt, wenn noch keine Rettungskräfte vor Ort sind und die Unfallstelle noch nicht gesichert ist. Legen Sie in diesem Fall zum eigenen Schutz eine Warnweste an, sichern Sie danach die Unfallstelle mit einem Warndreieck und verständigen Sie die Rettungskräfte durch Anruf bei der Polizei (110) oder der Feuerwehr (112). Anschließend sind Sie verpflichtet, Erste Hilfe zu leisten, soweit es Ihnen möglich ist. 

‌Wurde die Unfallstelle bereits gesichert und Ersthelfer sind vor Ort? Dann müssen Sie eine Rettungsgasse bilden und den Anweisungen der Rettungskräfte folgen. Wenn möglich, sollten Sie zügig weiterfahren, um den Rettungseinsatz nicht zu behindern.

Gaffer beim Unfall – Recht einfach erklärt

Weshalb wird Gaffen bestraft?

Gaffer behindern den Rettungseinsatz und erschweren den Einsatzkräften die dringend notwendige Behandlung der Verletzten. Außerdem stellen Gaffer eine Unfallgefahr dar und verletzten Persönlichkeitsrechte der Opfer, wenn sie diese filmen oder fotografieren. 

‌Weiterlesen: Warum ist das Gaffen ein Problem?

Wer gilt als Gaffer?

Wer am Unfallort bleibt, um das Geschehen zu beobachten oder sogar zu filmen, anstatt Erste Hilfe zu leisten oder die Unfallstelle zu sichern, gilt als Gaffer und macht sich zumindest einer Ordnungswidrigkeit schuldig. 

‌Weiterlesen: Phänomen „Gaffen“ – Was steckt dahinter?

In welchen Fällen ist Gaffen eine Straftat?

Wer sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig macht, Unfallopfer filmt oder fotografiert oder Einsatzkräfte nötigt, begeht eine Straftat. 

‌Weiterlesen: Welche Strafen drohen Gaffern?

Wie können sich Unfallopfer gegen Gaffer zur Wehr setzen?

Es ist möglich, auf dem Wege einer zivilrechtlichen Klage Schmerzensgeld zu fordern. 

‌Weiterlesen: Wie können sich Opfer von Gaffern wehren?

Wie sollte man sich als unbeteiligter Zeuge verhalten?

Wer nicht als Ersthelfer benötigt wird, sollte den Unfallort zügig verlassen, um den Einsatzkräften die Arbeit zu erleichtern. 

‌Weiterlesen: Korrektes Verhalten am Unfallort

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